Impulse
 

„Was habe ich, was das Netz nicht hat?
Das Schlüsselwort der jungen Generation heisst Kommunikation.“

Lisa Störkmann,
Expertin für Personal- und Organisationsentwicklung und Theaterpädagogin,
freie Mitarbeiterin der TheaterFalle Basel
in: Basler Stadtbuch, Christoph Merian Verlag, 2000
 

Die sogenannte „Generation @“ will alles sehen, hören und erleben und vor allem im Leben nichts verpassen. Und Sie will sich auf nichts und niemanden festlegen. Hierzu eröffnet die neue Technologie alle Möglichkeiten.
Sie kommuniziert über Handy, surft, mailt und chattet im Internet, besucht täglich weltweit virtuelle Welten, entwickelt eine eigene Sprache und neue kreative Berufe um die Multimedia-Welt. Wer nicht im Netz ist, ist out!

 
Das Internet bedient den Informations- und Entdeckerdrang.

Ca. 5.5 Milliarden Dokumente befinden sich weltweit auf dem Netz. Mit täglichen Suchbewegungen und dem Gefühl, überall auf dem Globus zu Hause zu sein, werden davon ca. 1Milliarde Dokumente gefunden. Die „Generation @“ driftet durch ihr Dasein, lebt temporär und kommt kaum zur Ruhe, weil im Netz 24-Stunden-Betrieb herrscht. Das Schlüsselwort heisst Kommunikation. Hier knüpft die junge Generation mehr Kontakte, als dass sie face-to-face miteinander redet. Kontakt – virtuell, nicht körperlich und sinnlich real. Die neuen Informationstechnologien ermöglichen fast inflationär viele Kontakte mit Hilfe von E-Mail, Anrufbeantworter, Faxgerät und Handy, der neuen „Nabelschnur zur Clique und in Chatboxen. Für wirkliche Beziehungen in Freundeskreis und Familie bleibt weniger Zeit.

Anstelle treten elektronische Beziehungen, freundschaftliche Netze, die frei von Verpflichtungen sind. Sie sind faszinierend und verführerisch, Spiel und Wirklichkeit. Sie lösen Probleme und verstärken sie. Sie öffnen und verschliessen Welten, sie integrieren und isolieren Menschen.
Oft erwachsen sie aus Mangel an lebendigem Kontakt, sind Fluchtwege aus der Einsamkeit und dem Alleingelassen werden.

„So viele Menschen hier und ich bin ganz allein!“
(Grafiti auf einer Berliner Mauer)

Dort setzt der Chat an. Hinter der Maske eines Nicknames (Pseudonym) beginnen die Chatter neben all den möglichen Rollenspielen/Verstellungen und Oberflächlichkeiten auch die Wahrheit auszusprechen. So können tröstliche Freundschaften entstehen, die Einsamkeit im Alltag lindern. Problematisch wird es, wenn der Chat den Chatter absorbiert. Eine virtuelle Parallelwelt kann entstehen, von der schliesslich das persönliche Glück abzuhängen scheint. Beim Versuch, das virtuelle Glück in die Wirklichkeit zu übertragen, können zwei Welten zerbrechen. Das Vertrauen in den Alltag scheint verspielt und die Lebensfähigkeit einer reinen Chatbeziehung widerlegt. Resultat: Die Einsamkeit ist grösser als zuvor.

 
Im Internet gehen Jungen und Mädchen ihren Ur-Spielantrieben

(Roger Callois, Die Spiele und die Menschen) nach:
Es sind:

  • Der „Agon“: Die Suche nach Wettkampf mit sich, der Maschine und anderen.
  • Das „Alea“: Der Antrieb zum Spielen um’s Glück.
  • Die „Mimicry“: Die Lust an der Verkleidung, Verstellung und der Rolle.
  • Der „Ilinx“: Der Wunsch nach rauschhaftem Erleben.

Diese Spielantriebe wirken auch im Umgang mit den neuen Medien. Der User und die Userin erleben Chancen und Nebenwirkungen. Denn Neue Medien werden zum Kanal für bereits vorhandene gesellschaftliche Phänomene.
Die UserInnen gratwandern zwischen Gewinnen und Verlieren. Sie erobern Galaxien und zerstören alltägliche Nähe, Verbindlichkeit und Wärme, sie haben „alles im Griff“ und fühlen sich alleingelassen, suchen und werden süchtig, sie gratwandern zwischen Individualismus und Einsamkeit, zwischen perfekten Zukunftsentwürfen und des Menschen Unberechenbarkeiten und Defiziten.

Umfragen haben ergeben, dass 70% der Befragten häufig länger im Netz sind, als sie ursprünglich wollten. 50% gaben an, dass sie manchmal surfen und chatten, obwohl sie Wichtigeres zu tun haben.
78% der Befragten gaben an, als erstes auf Sexseiten zu gehen.
Frauen chatten und mailen – vermutlich suchen sie die moderne Form des Minnegesangs. Wenn sie ausloggen, surfen Männer erst richtig los.

 
Agon oder die Suche nach den Grenzen

Jugendliche suchen den Wettkampf mit der Maschine, mit den Mitbewerbern auf dem Arbeitsmarkt, in der Entwicklung neuer Plattformen, kreativer Berufe, modernen Kulturschaffens. Chat – Lieben sind Quellen neuer Poesie. Das ist gesund, dem „Agon“, dem Spielantrieb zum gerechten Wettbewerb, zu folgen. Korrumpierte Formen des Agon sind jene, bei denen im Wettbewerb immer die Maschine gewinnt, wo neue User-Helden tagelang im Netz eifern, reale Lebensbezüge verlieren, ihr Körper degeneriert und das zum Wachsen notwendige Beziehungs- und Reibungsgefüge ausfällt. Alles wegen der Illusion (des Eintritts ins Spiel) einer Beziehung über eine triviale Maschine, den Computer.

Der Mensch aber ist keine triviale Maschine.
Er ist berechenbar unberechenbar.

 
Mimicry oder „Wer bin ich – und wenn ja – wieviele?“

Chat-Räume sind moderne Versteckspiele. Das Spiel besteht darin, sich anders zu geben, als man wirklich ist und möglichst spitzfindig zu verbergen, wer man ist. Im Chat wird anonym gehasst, geliebt und gestorben. Stolz darauf, nicht als Person erkannt zu werden.

Chatten – das moderne Versteckspiel und:
Die Rolle des ersten Eindrucks
In den ersten 7 Sekunden werden grundlegende Entscheidungen über einen Menschen getroffen, dem man ertstmals live gegenüber steht:

  1. 55 % werden bestimmt aus der Beobachtung von Körpersprache und Kleidung
  2. 38 % entnimmt man dem Klang der Stimme
  3. 7 % erschliesst sich aus dem Inhalt der Sprache!

Zu den Wunschvorstellung der Generation @ gehört neuerdings wieder Monogamie, Treue und Heirat. Sie sprechen von virtueller Untreue, wenn der Freund/die Freundin einen weiteren Lover im Chat hat.

Gleichzeitig vertritt knapp ein Drittel der jungen Generation die Auffassung: „Im Internet kann man selbst eine Rolle spielen“, also Persönlichkeitstypen verkörpern, ohne sie dauerhaft leben zu müssen. Nach Meinung etwa jedes dritten Jugendlichen muss „jeder einzelne sein Lebenskonzept selbst basteln und Lebenssinn suchen.“
(Quelle: Horst Opaschowski,Linkwww.bat.de/freizeit/aktuell).
Am beliebtesten sind kurzweilige Geschlechtsumwandlungen oder 5 anonyme FlirtpartnerInnen gleichzeitig.
Hat das „real life“ versagt vor den Idealvorstellungen? Der Bezug zur Realität ist - wie der Mensch - unberechenbar, was nicht heisst unbeeinflussbar.

Der 20-jährige Germanistikstudent Ismail verliebte sich in eine Chatbekannschaft. Verliebt in die eigene Illusion oder wenn man die Spielregeln verlässt.
Selbst bei abgeschaltetem Computer dachte er nur noch an E-Mails und virtuelle Treffen. Mehrmals lief er stundenlang durch Köln, um seine Angehimmelte zu treffen, weil sie angeblich dort wohnte. „Am Tag als ich sie endlich in Fleisch und Blut kennenlernen wollte, mailte sie mir kurz und knapp, dass sie in Wirklichkeit nicht 19-jährig und solo, sondern 45 sei, verheiratet und 3 Kinder habe. Ich war am Boden zerstört. Meine eigene Illusion war es, die ich geliebt hatte.“

 
Alea oder die Suche nach dem Glück

Alle Helden des Love-Chats haben eines gemeinsam: Die Suche nach dem grossen Glück, ohne je eine feste Bindung zu riskieren, obwohl alle davon träumen.

„Am Donnerstag sind ungewöhnlich viele Sternschnuppen über Europa, ein Leonidenstrom. Falls der Himmel in dieser Nacht bewölkt ist, muss man auf den nächsten grossen Strenschnuppenregen in neun Monaten warten, um sich was zu wünschen. Man kann sich aber auch unter Linkwww.sternklar.de einen eigenen Stern kaufen und ihm einen Namen geben. Das bringt sicher noch mehr Glück. Statt einen Liebesbrief mal einen romantischen Zeichentrickfilm bei Linkwww.dfilm.com verschicken.
(Quelle: Jugendmagazin „jetzt“, SZ, Heft 46)

 
Ilinx oder „One world is not enough“

Die Sehnsucht sich zu überschreiten wohnt allen Menschen inne. Eine Welt ist nicht genug. Der Mensch besitzt sich nicht. Es gibt etwas in ihm, wofür er nichts kann, auch wenn er vielleicht mehr denn je, was er sein will, selber machen muss. So versucht er, seine Grenzen zu erfahren und sich selber Grenzerfahrungen auszusetzen. Er definiert Räume, Zeiten, Orte – so auch die Chaträume oder Surfräume, wo dies möglich erscheint. Die Bedinungen, solche Erfahrungen zu machen, haben sich seit sich die Welt wieder schliesst und es keine weissen Flecken mehr gibt, entscheidend verändert. Der Mensch der Jetztzeit testet sich selbst. Er setzt sich Gefahren aus: der Hitze, der Kälte, der Schnelligkeit, der Virtualität. Er erregt sich toxisch, rhythmisch, virtuell, sonosphärisch. Er trommelt , er erhöht den Kontaktrausch quantitativ und verstärkt sich. Und er greift extraterrestisch aus in die endlosen Weiten der Galaxis. Es ist, als wollte er etwas wieder erreichen, was er, um jenes historische Maximum an Möglichkeiten zu erlangen, das uns heute in den modernen Multioptionsgesellschaften umgibt, vertrieben hat. Aber gelingt ihm das mit den zeitgemässen Formen des Thrills?
(Quelle: Zeitschrift „du“, Heft, 707, Juni 2000

 

Angst, etwas zu verpassen, heiss auf Liebe, vernetzt vor Einsamkeit, unverbindlich erotisch vor Berührungsangst, multipel auf der Suche nach dem Idealen, verzweifelt vor Sehn-Sucht.
Projektion, Maskerade, Versuchung, Sucht...,
was hat das Netz, was uns das Leben nicht bietet?
was hat das Netz, was ich nicht habe?

Wer sich in modernen Kommunikationsformen auskennt, ist zukunftsrobust und ist in. „In sein“ bedeutet für junge Leute sehr viel, bedeutet cool zu sein und dazuzugehören. Über Chats, E-mails und Handy und SMS müssten Jugendliche eigentlich soviele Kontakte haben wie noch nie.
Die übermässig hohe Selbstmordrate bei Jugendlichen in der Schweiz ist ein alarmierendes Zeichen für Vereinsamung, mangelnden Kontakt und mangelnde Begleitung zum Erwachsenwerden.
Mein Grossvater war Telefonist. Darauf war er stolz – genauso stolz wie die Menschen, zwischen denen er vermittelte. Alle waren stolz darauf, als Person erkannt zu werden. Stolz darauf, ihren Geliebten mehr als die Schrift bieten zu können, nämlich das Timbre der Stimme.
Kommunikation zwischen Menschen ist mehr als Informationsaustausch, ist dialogisch, ist derart, dass die Kommunikationsinhalte von der Beziehung der Partner dominant bestimmt werden.., ist hören, riechen, spüren, sehen, schwingen.

Gelingende Kommunikation umfasst den ganzen Menschen, den virtuellen und den realen, den visionierten und den sinnlich-stofflichen. Heisst, sich zu erkennen zu geben.
Wie gestalten sie Beziehungen? Wieviel Nähe ertragen sie tatsächlich?“
Sich mal im Netz verfangen, kann kreativ, lehrreich, grenzerweiternd und äusserst unterhaltsam sein. Gefangen im Netz kann allerdings auch zu realer Kontaktlosigkeit führen oder vorhandene auf die Spitze treiben.
In www. Heroes.li – Love in Cyberspace, dem neuen Jugendstück der TheaterFalle Basel, heisst es immer wieder: „Hab‘ dich nicht erreicht. Wo warst du, wo bist du, ich hab‘ doch angerufen.“

 
Was habe ich, was das Netz nicht hat?

Wie man junge Leute, Film, Videoinstallation, Chatsequenzen, und Theater zu Partnern machen kann, zeigt die TheaterFalle Basel in ihrem neuen Stück www.heroes.li – Love in Cyberspace. Es zeigt beide Realitäten, den Alltag und den Cyberspace. Es zeigt, wie uns die Gleichzeitigkeiten zweier Welten verändert. Kernthema ist die Einsamkeit und das Alleingelassen werden. Drei Jugendliche auf der Gratwanderung zwischen Alltag und virtueller Welt.
Die TheaterFalle kommuniziert im realen Leben mit dem Publikum. Jungen und Mädchen entwerfen aktiv neue Drehbücher statt sich zu isolieren. Hier kann das Leben probehalber zurückgespult werden. Sie sehen, hören und testen spielend wann und wie Alltag und Cyberspace voreinander scheitern und wie sich die beiden Welten verbinden lassen. Neugierig darauf, zu wissen, wo sie stehen, was sie denken und spüren, neugierig, von ihnen zu lernen. Neugierig, was sie haben, was das Netz nicht hat.
Die CMS schenkt der TheaterFalle Vertrauen und Respekt für ihre Arbeit. Sie ist eine der Hauptsponsoren. In den letzten 3 Monaten beteiligten sich allein in BS 3000 Jugendliche und in BL ebenfalls 3000 aktiv in oben beschriebener Weise
Die TheaterFalle hat eine Vision: Ein Medienhaus für junge Leute in Basel. Hier wird gewerkelt mit Film, Theater, Videoinstallation .... Alles unter einem Dach. Die Vision, dass die „Generation @“ Ausdruck, Auseinandersetzung und Kontakt im realen Leben gestaltet und die virtuellen Räume als Bereicherung dieser Lebensgestaltung nutzt.

Denn:
Im Netz bleiben die dicken Fische, die, die Fleisch haben, die nicht durch die Maschen ins Ungewisse fallen.
Die Suche im Netz, ist Ausdruck für das handfeste Interesse am Menschen, an Kontakt, Wärme und Bewunderung. Es ist das Bedürfnis nach balsamierenden Worten, aufregenden Liebeserklärungen, Leidenschaft im Alltag, anregendem Austausch erotischer Phantasien, die Suche nach sinnlichem Erleben, nach Schöpfung, nach „Leben minus Langeweile“, weil die „Lange Weile“ ohne Action und der Stress nicht auszuhalten sind. Weil reales Wirken und Handeln und Kontakt herstellen schwierig zu sein scheint.

Auf, auf, ihr Jäger und Sammler, es spricht alles dafür, Echt-Zeit zu vergeben und sich zu nehmen. Wie wirbt Tiscalinet so schön: Gemeinsam sind wir das Internet. Es spricht alles dafür, wenn wir es im Netz nur mit dicken Fischen, also mit Persönlichkeiten zu tun haben, die neben ihrem realen Erleben ab und zu in die virtuelle Welt entschwirren.

„Auf die Trägheit des Körpers ist Verlass.
Das Zahnweh ist nicht virtuell.
Wer hungert, wird von Simulationen nicht satt.
Der eigene Tod ist kein Medienereignis.
Doch, doch es gibt ein Leben diesseits der digitalen Welt:
das einzige, das wir haben.“
Hans Magnus Enzensberger, Der Spielgel,10.01.00

 

Das Alphabet der Gefühle

Brücken der Kommunikation und Ersatzsprache für Gestik, Mimik und Gefühle:
Akronyme, Emoticons und Smilies.

:-) fröhlich
:-)) sehr fröhlich
:-( traurig
:-(( sehr traurig
:-e enttäuscht sein
:-D lachen
:-t ein bitteres Lächeln
:-* küssen
;-) augenzwinkern
:-c besonders traurig
:-< traurig weil aussichtlos
:-(.... Kullertränen
:-/ nicht witzig
:-| leicht verärgert
:-|| sehr verärgert
:-C unglaublich
:-o oh nein
:-v schreien
:-@ brüllen
:*) betrunken sein
:-p Zunge rausstrecken
@>--->--- Rose
[] Umarmung
...---... SOS
<:-o iiiiihhhhh!!!!!!!!!
:@ WAS?!!!
(@@) Du machst Witze
afaik as far as i know
aka also known as
asap as soon as possible
bbl be back later
bion believe it or not
busy beschäftigt
cu see you
cul see you later
fyi for your information
HP Homepage
Mehl eMail
mompl moment please
oic oh I see
ptmm please tell me more
RL real life
thx thanx
   

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