Impulse
 

„Gratwanderung – Mut und Fantasie als Schlüssel zum Erfolg“

Interview von Annemarie Wäger mit Lisa Störkmann
in: espresso – Magazin für Frau und Business,
Oktober 2000 – „Gratwanderungen“
 

Wie sie sich in X Varianten nutzen lassen, lässt Lisa Störkmann Frauen selber entdecken, z.B im Workshop „Zwischen Leisetreterin und Dampfwalze“.
Gratwandern gehört zu unserem Leben. Ob wir die Herausforderung ängstlich vermeiden oder lustvoll in Angriff nehmen, liegt ganz in unserem Ermessen.

Lisa Störkmann war während 10 Jahren Geschäftsführerin eines Ausschusses für das Land Nordrhein-Westfalen in den Bereichen Schule, Kultur und Sport. Heute ist sie Expertin für Organisationsentwicklung im Netzwerk mit verschiedenen Consulting-Unternehmen und arbeitet als Personalentwicklerin und Theaterpädagogin immer wieder mit der TheaterFalle Basel. Sie unterrichtet ab und zu argentinischen Tango und pflegt liebevoll, wenn sich’s ergibt, verirrte Krähen.
Ver-Rücktes zieht sie magisch an.

Obwohl wir uns noch nie begegnet sind, erkennen wir uns sofort und versinken in eine stundenlange Diskussion über menschliche Grenzgänge – ein unerschöpfliches Gebiet. Irgendwann erinnern uns die knurrenden Mägen wieder an die Zeit.

 
Woher stammen Sie?

Ich bin in einem kleinen Dorf in Deutschland nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen, zusammen mit einer Schwester und vier Brüdern. Mein Vater war kriegsversehrt und meine Mutter ein Improvisationsgenie. Von ihr lernte ich, aus dem Nichts etwas zu erschaffen und bin so in einem Kontext zwischen Wirtschaft, freie Seele und Kunst gelandet.

 
Sie machten also sehr früh Grenzerfahrungen?

Ja, und zwar ganz bewusst. Es gibt für mich bis heute nichts Erfrischenderes als ein beherzter Schritt über die Grenze – in jeder Beziehung. Als Deutsche lebe und arbeite ich auch in der Schweiz und passiere so rein geografisch immer wieder die Grenze. Ich bin viel gereist in meinem Leben und liebe es über den Tellerrand hinaus zu schauen.

Sie haben kürzlich eine Veranstaltung geleitet unter dem Thema: Variationen einer Frau zwischen Leisetreterin und Dampfwalze. Spielvarianten als Schlüssel zum Erfolg. Welche Erfahrungen haben Sie dazu bewogen?

Ich will die Menschen wegführen von der „Entweder – oder – Haltung“ hin zum „Sowohl – als – auch“ – Erlebnis, zu integrierten Lösungen, in denen verschiedene Facetten stecken.

 
Welche Spielvarianten stehen denn der Frau dabei zur Verfügung?

Unendlich viele – übrigens auch dem Mann.
Problemlösungen gibt es in jeder Situation mehrere. Leider halten wir allzu oft an eingefleischten Denk – und Verhaltensmustern fest und verstricken uns in scheinbar bewährte Kommunikationsstrukturen. Ich möchte Lust vermitteln, diese Barrieren zu durchbrechen und dazu ermuntern mit neuen, ungewohnten Möglichkeiten zu spielen.

 
Können Sie ein praktisches Beispiel geben?

Bei einem Sexologenkongress in Heidelberg bestand die Aufgabe unseres OPuS Consulting Teams darin, die eher trockene Darlegung der Materie durch mehrheitlich spröde Fachleute durch eine sinnliche Seite zu ergänzen. Einem in Papier eingewickelten Tänzer wurden während der verschiedenen Referate passend zum Kontext laufend Fenster aus seiner Verhüllung ausgeschnitten bis zu seiner völligen Entblössung im doppelten Sinne – eine sehr erotische Performance.

 
Wie wurde darauf reagiert?

Von distanziert über provoziert, empört, ja entrüstet bis sehr gelassen und humorvoll. Ein buntes Spektrum. Es gab noch Leute, die über sich selbst lachen können. Und das kann für die Empörten sehr entblössend sein.

 
Also eine heikle Gratwanderung?

Ganz klar, aber im Endeffekt erfolgreich. Die Referate wurden um Sichtweisen, im wahrsten Sinne des Wortes, ergänzt.
Gratwanderungen sind immer ein Wagnis; beidseitig droht der Abgrund. Es ist ein ständiges Lavieren zwischen Distanz und Nähe. Das erfordert volle Konzentration auf den einzelnen Schritt ohne die Richtung und das Ziel aus den Augen zu verlieren. Wir brauchen Mut und Risikofreude. Und wir brauchen eine klare Haltung, keine Beliebigkeit. Nach gelungener Überwindung erleben wir ein Gefühl der Erleichterung, Befreiung und Stärke.
Unterschiede sind Chancen zur Ergänzung. Anders gesagt heisst Gratwandern auch, die Seite mal wechseln: zwei verschiedene Dinge sehen, miteinander verknüpfen und daraus ein Werk entstehen lassen, das greifbar ist, und dabei den Menschen im Mittelpunkt behalten.

 
Keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit...

(Nachdenklich) Tatsächlich nicht. Überall wächst das Tempo und menschliches Reifen braucht nach wie vor Zeit.

 
Wie gehen Sie mit dieser Entwicklung um?

Mein Auftrag beginnt häufig dort, wo Menschen nicht mehr miteinander reden können oder sich neu verständigen müssen. Letzteres geschieht leider häufig erst nach Umstrukturierungsmassnahmen. In Organisationen befasse ich mich z.B. mit der Ausbildung von hauseigenen ProzessbegleiterInnen, Führungstraining, begleite New Public Management Prozesse. Hier geht es mehr um die so genannten „weichen“ Faktoren, die rein betriebswirtschaftlichen Dinge sind nicht meine Sache, dafür gibt’s bessere Leute. Ich versuche, das Theater, die Kunst mit Unternehmen zu verknüpfen, beide profitieren voneinander.

 
Wie sieht das in der Praxis aus?

Es gilt „Krücken“ und Sackgassen eines Problems herauszufinden und aufzuzeigen. Das gelingt am besten durch humorvolle Spiegelung. In Zusammenarbeit mit der TheaterFalle spüren wir die kritischen Punkte auf, z. B warum in einem Unternehmen Mitarbeiterbeteiligung nicht so funktioniert wie propagiert oder wie das alte Vorschlagswesen in neues Ideenmanagement umgewandelt werden kann. Dazu entwickeln wir Szenen, die den Betroffenen aus einer andern Warte das eigene Anliegen vor Augen führen. So können sie das Ganze aus Distanz betrachten. Sie sind nicht mehr persönlich und direkt involviert. Das wirkt sehr entlastend, befreiend und klärend.
In einem zweiten Teil ist aktive Beteiligung gefragt in Form von Vorschlägen zur Veränderung des Verhaltens. Anders als im richtigen Leben kann hier „der Film zurückgespult“ werden. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um Konsequenzen von Verhalten. Daraus entwickeln sich neue Sichtweisen und andere Lösungsmöglichkeiten. Eine Gratwanderung, die nach vorne geht!
Dies wiederum fliesst in den Beratungsprozess zurück.

 
Wie finden Sie denn heraus, wo „der Hund begraben“ liegt?

Die effektiven Störfaktoren sind immer unterschwellig, in Tabuzonen, kaum sichtbar, schwer fassbar. Es herrschen geheime Spielregeln.
Ich beobachte sehr genau und höre aufmerksam zu. Wahrnehmung in Verbindung mit Theater ist die höchste Kunst menschliche Verhaltensmuster aufzudecken ohne zu moralisieren. Im Zentrum steht das wertfreie Aufzeigen von Tatsachen.
Dazu ein Beispiel: In einer Firma wird ein Ladieslunch öffentlich 1x pro Woche in der Cafeteria eingeführt. Alle Frauen können ihn nutzen, solidarisch sein, ihre Anliegen diskutieren. Kaum eine Frau kommt. Woran liegt’s? Inoffiziell schien es eine Spielregel zu geben, die wirkungsvoller ist als die offizielle: Wer hingeht, hat nichts Besseres zu tun.

 
Welches sind typisch weibliche Verhaltensmuster?

Versteckte Aggressivität, hohe kommunikative und soziale Kompetenz, Fähigkeit Denken und Fühlen zu integrieren, vermeintlich solidarisch sein, wo Konkurrenz beleben würde, Gemeinsamkeiten suchen, Unterschiede nicht als Chance begreifen, Vermischung von Privatsphäre und Beruf, Opfersein (was ist dabei das Gute am Schlechten?), Understatement gegenüber eigenen Fähigkeiten, Grenzen spüren, aber nicht kund tun ...

 
Letztlich hat das alles mit Angst zu tun.

Bei vielen Mustern ja! Gerade Frauen scheitern sehr oft an selbst errichteten Grenzen.

 
Wie lässt sich das verändern?

Sie mit unverschämten Methoden (Empörung) dazu bringen, sich all ihrer Facetten zu bedienen, sie gezielt einzusetzen und ungeniert damit zu spielen – dabei sich liebevoll über die Schulter blickend.

 
Das ist leichter gesagt als getan.

Frauen müssen lernen, insbesondere im öffentlichen Leben, Raum zu nehmen und zu gestalten und Räume abzugeben. Uns gehört die ganze Bühne, nicht nur der Rand oder der Teil hinter den Kulissen. Wir haben grosse Spiel –, Lebens – und Kulturräume. Und wir können Verantwortung übernehmen.

 
Wie lässt sich das lernen?

Übung macht die Meisterin!
Mit der Architektin Beatrice Bayer zusammen habe ich diverse Stadtplätze an die Wand und auf den Boden projiziert. Frauen mussten sich darin positionieren. Anschliessend wird nicht nur der üblichen Frage nachgegangen, wie frau sich an ihrem Ort fühlt, sondern auch was ihre Positionierung an diesem Platz bedeutet und wie das wieder zurückwirkt auf die Ausstrahlung des Platzes.. Die Umkehrung ist eine wirkungsvolle Methode, Sachverhalte zu hinterfragen.
Man kann z.B. im Auftrage einer Frauenorganisation bei Männern eine Umfrage machen, wie sie ihr Haushaltungsgeld einteilen und erreicht damit die Männer viel eher als mit Broschüren dazu, wie viele Frauen nicht über das gemeinsame Geld verfügen dürfen. Oder andersherum erhalten Frauen, die öffentlich eine Diskussion auslösen und für ihre Organisation werben wollen, in chicer, frecher Aufmachung, anstatt alternativ aufzutreten, sofort Beachtung.

 
Der Zauber liegt also in der Überraschung?

Unbedingt. Das Geheimnis offenbart sich im Ungewohnten, im Seitenwechsel. Neue Standpunkte, neue Blickwinkel, neue Sichtweisen ....

 
Welche Strategien empfehlen Sie Frauen?

Aus der Intimität heraustreten, die Publizität stärken; Weiterbildung einfordern, Auszeiten nehmen; Austausch mit andern; Grenzüberschreitungen, in andern Kontexten agieren; Abenteuerlust entwickeln; Attentate auf die perfekt eingespielten Rituale der Mittelmässigkeit; auch loslassen und abgeben, den stillen Raum, die Pause leben. Wir müssen nicht immer rackern für Anerkennung. Und da fass ich mir selbst als erste an die Nase.

 
Uns steht ja eine unwahrscheinliche Fülle an Handlungsmöglichkeiten offen.

Die Fantasie ist grenzenlos, unsere Variationen vermutlich auch: von der Rolle als Mutter, Tochter, Frau, Geliebte, Managerin, von der Hexe bis zur Heiligen ist alles offen.
Ebenso vielfältig präsentieren sich unsere Eigenschaften: aggressiv, analytisch, aufgeschlossen, gesellig, liebenswürdig, humorvoll, neugierig, kritisch, beschaulich, beseelt ...... die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Das Risiko eingehen, mit nicht immer demselben zu spielen, nicht mehr des Selben zu produzieren, darin liegen lauter Schlüssel zum inneren und äusseren Erfolg.

 
Was verstehen Sie unter Erfolg?

Vieles: aus scheinbar nichts etwas machen; der Zeit ein Stück voraus sein; erkennen, was gut ist für mich und was schlecht; schwer erkämpfte Projekte durchsetzen mit Brüchen und Widersprüchen; etwas abbrechen und Neues beginnen; mit anderen so engagiert für etwas arbeiten, dass uns die Bezahlung zweitrangig ist; wenn SeminarteilnehmerInnen er-schöpft und mit einem Glanz in den Augen nach Hause gehen; ein Bild malen; mit meinem Freund einen Tag lang nichts und alles unternehmen; durch den Wald gehen und mich freuen, dass die Bäume noch grün sind; authentisch sein und dabei niemals vergessen, dass ich morgens nicht mehr als zwei Brötchen essen kann.

 
Herzlichen Dank für Ihre Denkanstösse.

   

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Lisa Störkmann  .  Entwicklung von Persönlichkeit & Unternehmen

  Wir hinterlassen Spuren!